Kirsten aus Recklinghausen ist 47 Jahre alt arbeitet als Lehrerin. Wie soll es im System Schule weitergehen, fragt sie sich und fürchtet die nicht enden wollende Strukturlosigkeit des Alltags.
(1) Liebe Kirsten, erzähle etwas über Dich! Wo, wie und mit wem lebst Du?
Ich lebe in Recklinghausen, in einer Altbauwohnung zusammen mit meinem Mann.
Was war
(2) Wie war Dein Leben, Dein Alltag VOR Corona?
Mein Alltagsleben war bestimmt durch meinen Beruf als Grundschullehrerin. Schon früh am Morgen erschien ich in der Schule, um gut vorbereitet meine Schüler und Schülerinnen dort zu empfangen. Die Zeit nach dem Unterricht war ebenfalls gut strukturiert. Neben Konferenzen, Vor- und Nachbereitungen standen viele alltägliche Dinge auf der Tagesordnung: einkaufen, kochen, essen, Freunde treffen, putzen etc. Gern verbrachte ich auch freie Zeit beim Bummeln durch Geschäfte. Einmal in der Woche war ich zudem ehrenamtlich in einer Kleiderkammer für Flüchtlingsfamilien tätig, um zu helfen, aber auch, um Kontakte zu Flüchtlingsfamilien zu pflegen.
Was ist
(3) Was hat sich seit der Quarantäne / Ausgangsbeschränkung für Dich verändert? Welche Einschränkungen erlebst Du / erlebt ihr?
Viele meiner alltäglichen Tagestrukturen entfielen erstmal. Als die Schulen geschlossen wurden, fühlte es sich aber auf keinen Fall an wie Ferien. Erstens beschäftigte mich das schlechte Gewissen, nun nicht mehr für meine Schülerinnen und Schüler da sein zu können. Zweitens bereiteten mir die stündlich neuen Informationen in den Medien zum Thema Corona große Sorgen. Tageweise erfüllte ich meinen Schuldienst in der Notbetreuung der Schule. An anderen Tagen führte ich einen telefonischen Elternsprechtag durch. Außerdem stellte ich Materialien für das Homeschooling bereit. Der Einkauf für Angehörige nahm zudem einige Zeit in Anspruch: Fremde Einkaufslisten stellten mich vor neue Herausforderungen. Ansonsten verbrachte ich viel Zeit zu Hause, mit Spaziergängen und erprobte neue Hobbies. So lernte ich durch Onlineseminare Sketchnotes kennen, kramte die Nähmaschine wieder hervor, um Masken zu nähen und startete auch sportliches Training durch die Onlineangebote von Walk at home. Ausgeliehene Puzzles stehen noch unberührt in der Wohnung, da die Tage auch ohne Alltagsroutine erstaunlich schnell vergingen. Freundinnen traf ich per Videokonferenz und das deutlich häufiger als im normalen Leben.
(4) Wie sieht ein GUTER Tag in dieser (Corona) Zeit aus?
Durch die fehlenden Termine in dieser besonderen Zeit geriet ich selten in Stresssituationen. Ich vertrödelte gern den Morgen mit der Tageszeitung, Podcasts, in der Sonne sitzend mit einem Buch in der Hand auf dem Balkon. An einem besonders schönen und sonnigen Tag machten wir uns auf den Weg zum Rhein, um dort Steine zu sammeln. Am Rhein entlang schlendernd konnte man Corona kurzzeitig vergessen und es kam ein wenig Urlaubsfeeling auf. Mit 10 Kilo Steinen im Rucksack war der Rückweg dann nicht mehr so angenehm. Zu Hause wurden diese dann im Style von Bine Brändle bemalt und schmücken nun den Balkon. Die Abende ließ ich gern mit Onlinekonzerten, Videokonferenzen mit Freundinnen und einem Gläschen Wein ausklingen.
(5) Wie sieht ein schlechter Tag in dieser (Corona) Zeit aus?
Nach der ersten Telefonkonferenz mit meinen Mädels , bei der wir viel Spaß hatten und zusammen gelacht haben, wurde ich total traurig. Irgendwie fehlte der echte Kontakt in diesem Moment noch mehr. Ansonsten gab es immer wieder mal schlechte Stimmung im Tagesablauf, aber auch sehr nette und besondere Momente.
(6) Was fordert Dich aktuell am meisten? Was ist Deine größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung besteht im Moment darin, meine Eltern, die beide zur Risikogruppe gehören, einzuschränken und von sinnvollen Schutzmaßnahmen zu überzeugen. Zudem beschäftigt mich die Sorge um die Lernfortschritte meiner Schülerinnen und Schüler. Wie soll es im System Schule weitergehen?
(7) Wovon möchtest Du weniger / mehr?
Ich wünsche mir weniger konfuse Informationen in allen Medien zum Thema Corona und hoffe sehr, dass die aktuell beschlossenen Lockerungen keine negativen Auswirkungen zeigen werden. Ansonsten möchte ich gern wieder mehr NORMALITÄT, wie auch immer wir die erreichen werden.
(8) Was macht Dich traurig? Was ist schwer für Dich? Was macht Dir Angst?
Es ist noch kein Ende in Sicht – das macht mir Angst! Mit allen Maßnahmen könnte ich gut leben, wenn ein Ende in Sicht wäre. Ich plane gern voraus und bin gut strukturiert. Im Moment erfordert aber gerade der schulische Alltag eine Flexibilität, die mir nicht gefällt. Kinder im Grundschulalter können noch keine Verantwortung für selbstgesteuertes Distanzlernen übernehmen. Ich hoffe, dass gern besuchte Geschäfte und Gaststätten diese schwierige Zeit gut überstehen und ich diese bald wieder besuchen darf.
(9) Was macht Dich glücklich? Worauf bist Du stolz? Wofür bist Du dankbar?
Glücklich macht mich, dass ich einen Partner an meiner Seite habe und auch das Zusammenleben auch in dieser besonderen Zeit gut gelingt. Glücklich machen mich Kontakte zu Freundinnen und Freunden. Das schöne Wetter der letzten Wochen hat auch für GUTE LAUNE gesorgt.
Was kommt
(10) Was verändert sich dauerhaft für DICH / für UNS?
Ich hoffe, dass wir alle aus dieser Krise lernen und besser wertschätzen, was die Systemrelevanten für uns tun. Meine Reisepläne für dieses Jahr habe ich verworfen – aber jede folgende Reise werde ich in Zukunft auch stärker wertschätzen. Ansonsten hoffe ich, bald wieder in meinen normalen Alltag zurückkehren zu können.
(11) Was wünschst Du Dir für die Zeit „DANACH“? Worauf freust Du Dich?
Am allermeisten freue ich mich auf unsere Lieblingsgaststätte, Essen gehen mit Freunden und auf altbekannte Reiseziele, die mir nun schon fehlen.
(12) Gibt es schon konkrete Pläne, Termine, Berufliches für „danach“?
Wir planen gerade die Schulzeit bis zu den Sommerferien. In dieser Zeit werde ich alle Kinder meiner Klasse noch ein paarmal sehen und unterrichten können. Wie es nach den Ferien weitergeht …? Berufliche und finanzielle Sicherheit weiß ich in dieser Zeit besonders zu schätzen.
Deine Botschaft
(13) Was möchtest Du noch mitteilen? Was möchtest Du anderen mitgeben? Hast du einen TIPP?
Macht das Beste aus dieser Zeit! Besinnt euch auf Freunde und Familie! Unterstützt die lokalen Geschäfte. Lasst es mit Abstand wieder krachen, wenn die Gastronomie öffnet, die warten sehnsüchtig auf ihre Gäste. Lasst uns alle durchhalten!
Danke Dir für dieses Interview!
(Darmstadt, im Mai 2020)