Anne Kaiser aus Fürstenfeldbruck ist 44 Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder (7, 10 und 13) und arbeitet als Fotografin. Wir haben sie befragt, wie ihr Corona-Pandemie-nicht-Alltag im Mai 2020 aussieht.
(1) Erzähle etwas über Dich! Wo, wie und mit wem lebst Du?
Ich lebe mit meinem Mann, meinen drei Kindern, unserer Katze Lotta und drei Hühnern in Fürstenfeldbruck bei München.
Was war
(2) Wie war Dein Leben, Dein Alltag VOR Corona?
Als selbstständige Fotografin für Menschen war ich total ausgebucht – oft über meine Belastbarkeitsgrenze hinweg. Ich habe nur noch reagiert und Themen „abgearbeitet“. Die Kinder haben ebenfalls viel meiner Aufmerksamkeit benötigt. Eigentlich wäre ich in den letzten Monaten mehrfach in den Bergen gewesen – und auf einem großen Foto-Trip mit einem Mönch in Nepal.
Was ist
(3) Was hat sich seit der Quarantäne / Ausgangsbeschränkung für Dich verändert? Welche Einschränkungen erlebst Du / erlebt ihr?
Ich bin nun komplett zu Hause. Alle Jobs wurden vorerst abgesagt, die Reise verschoben. Die ersten Wochen waren wie Urlaub und Weiterbildung zugleich. Ich habe viele Online-Kurse gemacht – habe neue Geschäftsfelder gesucht und konnte mich endlich mal hinterfragen. Mit den Kindern habe ich viel Home-Schooling betrieben. Und als Familie haben wir unsere Umgebung neu entdeckt.
(4) Wie sieht ein GUTER Tag in dieser (Corona) Zeit aus?
Ich gehe morgens laufen, meine Kinder stehen von alleine auf und lesen. Nach einem gemeinsamen Frühstück arbeiten die Kinder alleine ihre Hausaufgaben ab – leider komplett unrealistisch in der 2. Klasse, aber in der 4. und 7. Klasse klappt das manchmal. Jedoch sind dann noch keine Vokabeln gelernt, noch keine Grammatik erklärt, noch kein neuer Stoff erarbeitet. In dieser Zeit kann ich in Ruhe arbeiten und bekomme vielleicht sogar eine Zusage zu einem neuen Job. Austausch mit Kollegen findet via Skype statt. Eventuell sogar eine Online-Weiterbildung. Mein Mann kommt überraschend nach Hause und kocht Essen – das passiert leider auch fast nie. Den Nachmittag verbringen wir draußen im Wald und bauen eine Höhle. Abends machen die Kinder Abendessen und ich kann noch eine Stunde arbeiten – ohne Vorwürfe, dass ich „schon wieder“ am Computer sitze. Jemand bezahlt eine Rechnung die ich gestellt habe… und dann spielen wir noch ein Spiel zu fünft.
(5) Wie sieht ein schlechter Tag in dieser (Corona) Zeit aus?
Mein Mann ist arbeiten. Jedes Kind braucht mich in der Schule. Ich muss motivieren, korrigieren, streiten, diskutieren. Die Hausarbeit wächst mir über den Kopf. Das Essen kocht sich nicht von selbst. Alle sind gereizt. Ich habe keine Zeit für Sport oder um im Job weiter zu kommen. Es regnet und keiner kann raus gehen.
(6) Was fordert Dich aktuell am meisten? Was ist Deine größte Herausforderung?
Mein Nervengerüst ist dünn. Mir fehlt Muße für meine kreative Arbeit. Ich habe auch Zukunftsängste, denn ich glaube, dass meine Arbeit als Fotografin zukünftig schwieriger wird.
(7) Wovon möchtest Du weniger / mehr?
Ich möchte mehr Zeit für mich. Einen Mentor mit dem ich mit beruflich austauschen kann. Ich hätte gerne mehr Sicherheit im Job. Ich möchte weniger Home-Schooling. Weniger Essen kochen.
(8) Was macht Dich traurig? Was ist schwer für Dich? Was macht Dir Angst?
Angst macht mir tatsächlich die Zukunft. Normalerweise liebe ich Bewegung, Neues, Überraschungen und auch Unsicherheiten. Im Moment jedoch ist mir das zu viel.
(9) Was macht Dich glücklich? Worauf bist Du stolz? Wofür bist Du dankbar?
Dankbar bin ich für meine Familie, dass wir keine Existenzsorgen haben, es uns gut geht und wir mehr zusammenwachsen. Auch bin ich für die Zeit der Reflektion dankbar. Die Möglichkeit nachzudenken, raus aus dem Hamsterrad zu sein. Alles in Frage zu stellen und zu sehen, dass doch alles recht gut ist. Man lernt die kleinen Dinge wieder zu schätzen.
Was kommt
(10) Was verändert sich dauerhaft für DICH / für UNS?
Ich werde mich beruflich umorientieren. Meine Fotografie auf neue Beine stellen. Außerdem weiß ich, dass das Glück nicht in der Ferne liegt, sondern in einem drin. Und das zu erkennen ist der größte Schatz überhaupt.
(11) Was wünschst Du Dir für die Zeit „DANACH“? Worauf freust Du Dich?
Ich freue mich auf neue Wege. Auf Begegnungen mit Menschen die mir wichtig sind. Auf die kleinen Nuancen im Leben, die ich nun hoffentlich wieder mehr sehen werde. Auch hoffe ich, dass die Menschheit erkannt hat, dass nichts sicher ist, sondern sich alles ändern kann. Meine Hoffnung ist, dass dies auch in Hinsicht auf Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Klimarettung eine große Wende bringt.
(12) Gibt es schon konkrete Pläne, Termine, Berufliches für „danach“?
Ich habe einen Job im Bereich Architekturkommunikation bekommen. Hier kann ich meine beiden Ausbildungen super miteinander verknüpfen. Meine Reise ist auf nächstes Jahr verschoben. Und jetzt freuen wir uns erst einmal auf „Ferien“ außerhalb von unserem 4 Wänden. Wie aufregend!
Deine Botschaft
(13) Was möchtest Du noch mitteilen? Was möchtest Du anderen mitgeben? Hast du einen TIPP?
Unsicherheit und Veränderung können Großes schaffen, …, oder gar nichts. Beides ist ok. Es ist nur eine Frage, was Du wirklich willst.
Danke Dir für dieses Interview!
(Darmstadt, im Mai 2020)